Moore als Archive der atmosphärischen Deposition

- Laufendes Projekt/Projektausblick -

Eine Verschmutzung mit Pb oder Os lässt sich heute an allen Orten der Erde anhand von Boden- Pflanzen-, Tier-, Wasser- und auch Schnee- und Eisproben dokumentieren (Patterson 1965, Murozumi et al. 1969, Zereini und Alt 2000, Le Roux 2005, Wismann et at. 2009, Barbante et al. 2001 oder Rodushkin 2007 a, b). Die bahnbrechenden Studien von Patterson und seinen Kollegen im Hinblick auf Pb fanden allerdings zu einer Zeit statt, in der die Verwendung von verbleiten Benzinadditiven ihren Höchststand erreichte und einen Großteil der globalen Verschmutzung mit Blei verursachten (Nriagu 1978, Boggess und Wixson 1979, Harrison und Laxen 1981). In den letzten Jahrzehnten lag deshalb die Hauptaufmerksamkeit auf den anthropogenen Bleiemissionen aus den Bleiadditiven. Wir sollten dabei aber nicht vergessen, dass das nur ein Aspekt in der Geschichte der Nutzung von Pb und anderen Spurenmetallen durch den Menschen war. Pb-Einträge z.B. kontaminierten schon lange vor der Einführung von verbleitem Benzin die Ökosysteme. Frühere und auch heutige Verschmutzungen stammen z.B. aus der Pb-Freisetzung während der Buntmetallerz-Gewinnung und -verhüttung (Shotyk und Le Roux 2005, Novak et al. 2003, Kempter et al. 1997, Kempter und Frenzel 2000) oder auch aus Kraftwerken, Müllverbrennungsanlagen und Zementfabriken (Haack et al. 2002, 2003, 2004). Die heutige Meinung, die atmosphärische Bleiverschmutzung in Europa sei einzig durch verbleites Benzin als Hauptquelle verursacht, muss neu überdacht werden (Shotyk et al. 2003, 2005). So wurde seit dem Beginn der Zivilisation Pb emittiert, verbleites Benzin aber erst zu einem sehr späten Zeitpunkt (ab AD 1923) verwendet. Shotyk und Le Roux (2005) zeigten, dass in der ländlichen Schweiz die Hälfte des in die Umwelt freigesetzten anthropogenen Blei vor Beginn der Industriellen Revolution emittiert wurde und sogar 80 % vor der Einführung von verbleitem Benzin. Auch in Ländern wie Deutschland, in denen der mittelalterlicher Bleibergbau sehr intensiv war, übertrifft die Belastung des anthropogenen Blei, das während des Mittelalters freigesetzt wurde, ebenfalls bei weitem den mehr rezenten und viel kürzeren Einfluss von Pb aus Benzin (Kempter 1996, Kempter et al. 1997, Kempter und Frenzel 2000, Hettwer et al. 2003).

Speziell in Europa scheint es also eine Reihe von regionalen Pb-Kontaminationsgeschichten gegeben zu haben und noch zu geben, die jeweils die lokale und regionale Bearbeitung von Pb aus Erzlagerstätten widerspiegeln (Kempter et al. 1997, Camarero et al. 1998, Gerdol et al. 2002, Vile et al. 2000, Arnaud et al. 2004, Monna et al. 2004, Deicke et al. 2006). Bisher existiert zwar noch keine systematische, für Europa einheitliche Studie, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die zeitliche Entwicklung der Gehalte atmosphärischen Pb in Europa seit der Industrialisierung nicht einheitlich verlief, sondern aus einer Serie von unabhängigen Pb-Geschichten besteht, die jede ihre eigene Chronologie, dominierende Quellen und Variation der Intensität hatte. So konnte ein Bohrkern aus dem Lindow Bog, Manchester, England, (Le Roux et al. 2004) nicht nur detailliert die atmosphärische Pb-Konta­mination während des Mittelalters und des Industriezeitalters rekonstruieren, sondern auch zeigen, dass die atmosphärische Bleiverschmutzung in Großbritannien der Ankunft der Römer zeitlich um mehrere Jahrhunderte vorausgeht. Die atmosphärische Bleiverschmutzung der Römerzeit wurde also durch den Bergbau und die Verhüttung englischer Erze verursacht und nicht, wie bisher geglaubt, durch den Abbau und die Verhüttung von spanischen Erzen (Rosman et al. 1997). Und dieses gilt nicht nur für Pb, sondern auch für alle anderen Spurenelemente.

Bevor nun aber Studien zur regionalen Geschichte der atmosphärischen Verschmutzung durch verschiedene Spurenelemente in Deutschland oder Europa durchgeführt und diese auch in Zusammenhang mit archäologischen Fragestellungen bearbeitet werden können, muss die Frage geklärt werden, wie genau der regionale atmosphä­rische Eintrag anhand von geochemischen Untersuchungen an Torfprofilen (jährliche Depositionsraten) überhaupt rekonstruiert werden kann und wie viele Bohrkerne eines Moores für eine repräsentative Quantifizierung des Spurenelementeintrages bearbeitet werden müssen. Zwei Studien beschäftigten sich in den letzten Jahren mit dem Thema der Variabilität der Pb-Depositionsraten oder Pb-Inventare in verschiedenen Torfprofilen eines Moores. Hierzu wurden 9 Torfprofile des Moores Store Mosse in Südschweden untersucht (Bindler et al. 2004), aber leider nur ein Bohrkern anhand von 210Pb zufriedenstellend datiert. Es ist aber dringend notwendig, jeden geochemisch bearbeiteten Bohrkern auch so genau wie möglich zu datieren und sogar die Datierungsmethoden noch weiter zu verbessern. Die Autoren folgerten trotzdem, dass ein einzelner Bohrkern die absolute atmosphärische Deposition nicht in einem ausreichenden Maß für ein gesamtes Moor widerspiegelt. Rothwell et al. (2007) beschäftigten sich ebenfalls mit der Variabilität der Bleideposition innerhalb eines Moores. In drei Mooren der Pennines (England) wurden 16 „Bohrkerne“ (30 cm tief) in Bezug auf die Pb-Konzentrationen in die Tiefe untersucht und an ca. 45 Bohrkernen für die obersten 20 cm die Pb-Inventare berechnet. Die Autoren schlussfolgern, dass die Variabilität innerhalb eines Moores die Bearbeitung von mehreren Bohrkernen pro Moor notwendig macht. Für eine repräsentative Rekonstruktion der vergangenen Deposition ergibt sich in dieser Arbeit eine Anzahl von 15 Bohrkernen pro Moor und Region. Leider wird auch bei dieser Studie die Wichtigkeit einer akkuraten Datierung jedes untersuchten Bohrkernes vernachlässigt. Die oberen 20 cm der Kerne, die für die Berechnung des Pb-Inventars benutzt wurden, können somit deutlich unterschiedliche Zeiten repräsentieren.

Neben der Frage, wie viele Bohrkerne eines Moores für eine repräsentative Quantifizierung des Spurenelementeintrages bearbeitet werden müssen, ist es sehr wichtig, auch eine Überprüfung der räumlichen Variabilität der Platingruppenelemente und der Os-Isotopenzusammensetzung durchzuführen. Diese systematische Erforschung des Verhaltens dieser Elemente in Mooren erlaubt eine  wesentliche Erweiterung des Einsatzgebietes von Torfproben, denn nicht immer sind atmosphärische Einträge reich an Blei, so z.B. Pt-Katalysatoren, Vulkanausbrüche, Eisenerzröstung etc.. Von besonderem Interesse ist Os, von dem erwartet werden kann, dass es sich in Torfmaterial ausgesprochen immobil verhält. Im Gegensatz zu Pb wird Os gasförmig transportiert und nicht, oder nicht vorwiegend, in partikularer Form. Weiterhin bietet dieses Element, ähnlich wie Pb, durch Messung der Isotopenzusammensetzung die Möglichkeit, eine zeitliche Variation der Eintragsquellen zu erkennen und mögliche Quellen zu identifizieren. Bisherige Untersuchungen an Mooren, vor allem mit Pb als Tracer, belegen sehr gut den anthropogenen Einfluss auf die Umwelt. Os sollte theoretisch ein noch besserer Tracer als Blei sein, da zum einen die Unterschiede in der Os-Isotopensignatur größer sind und zum anderen eine vermutlich sehr niedrige Hintergrundkonzentration zu erwarten ist. Weiterhin unterscheiden sich die beiden Tracer auch in ihren Transportmechanismen. Interessant ist aber v.a., dass der Einfluss und Eintrag von Pb-armen (aber verhältnismäßig Os-reichen) Quellen in Mooren somit überhaupt erst sichtbar werden würde. Daher ist nicht nur zu erwarten, dass Os sich als sehr guter Tracer erweisen wird, sondern es ist auch zu erwarten, dass dieser Tracer andere Ereignisse im Torf dokumentiert (z.B. die Latène zeitliche Blüte der Eisenproduktion im Schwarzwald, Vulkanausbrüche oder die Einführung des 3-Wege Katalysators).

Die von uns geplante Studie beinhaltet eine Reihe innovativer Fragestellungen, die die Qualität zukünftiger Rekonstruktionen vergangener Depositionsraten erheblich verbessert und die Spannbreite der Elemente, für die eine sinnvolle Interpretation erfolgen kann, enorm erweitert. Nicht nur die Abschätzung des anthropogenen Einflusses auf seine Umwelt in Bezug auf die Emission von Schadstoffen, sondern auch andere Fragestellungen wie z.B. die regionale Siedlungsgeschichte oder die regionale Geschichte der Verhüttung von Erzen, kann dann in den Blickpunkt gerückt werden.